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"Fair für alle" - Ein Interview zum neuen Recht gegen unlautere Handelspraktiken mit der Lebensmittel Praxis

Fair für alle

Landwirte müssen von dem, was sie erzeugen, leben können. Der Bundestag hat einem Gesetzentwurf zugestimmt, der für faire Vertrags- und Lieferbeziehungen sorgt. Rechtsanwalt Dr. Reto Batzel klärt über die wichtigsten Fragen auf.

Das Interview als PDF finden Sie hier: Interview mit Dr. Reto Batzel in der Lebensmittel Praxis zum neuen Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken (UTPs).

Der Bundestag hat Anfang Mai eine deutliche Verschärfung der EU-Richtlinie „gegen unfaire Handelspraktiken in der Lebensmittellieferkette“ (UTP) beschlossen. Um was für ein Gesetz handelt es sich da?

Dr. Reto Batzel: Es handelt sich um das „Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich“, das die Lieferanten von Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnissen – allen voran die Landwirte und Fischer – vor unlauteren Handelspraktiken schützen soll. Vereinfacht gesagt funktioniert das Gesetz so, dass es verschiedene unlautere Handelspraktiken aufzählt und diese den Abnehmern der Lieferanten verbietet. Das Gesetz nennt die Abnehmer „Käufer“. Vor allem die Lebensmitteleinzelhändler sind damit gemeint, rechtlich betroffen können aber praktisch alle Abnehmer landwirtschaftlicher Erzeugnisse sein und damit auch die lebensmittelverarbeitende Industrie.

Das klingt nach einer Regulierung der Geschäftsbeziehungen entlang der Lebensmittelversorgungskette …

Das stimmt ein Stück weit auch. Je nach Zählweise kann man von 18 verbotenen Handelspraktiken sprechen. Manche befinden sich umgangssprachlich auf einer „schwarzen Liste“, sind also vom Gesetz immer und unter allen Umständen verboten. Hierzu gehört etwa die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises an den Lieferanten erst nach Ablauf bestimmter Fristen oder die kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Erzeugnisse durch den Käufer. Die anderen Handelspraktiken sind hingegen auf der „grauen Liste“. Damit ist gemeint, dass diese Praktiken nicht generell verboten sind, sondern erlaubt, wenn sich Lieferant und Käufer zuvor über diese Praktiken geeinigt haben. Gibt es keine Einigung, bleiben diese Praktiken aber verboten. Dazu gehören unter anderem Zahlungen oder Preisnachlässe vom Lieferanten für die Listung bei der Markteinführung, für die Vermarktung der Erzeugnisse oder für das Einrichten von Verkaufsräumlichkeiten.

Und das Verbot dieser Handelspraktiken gilt generell?

Nein. Es gilt nicht für jeden Käufer, sondern nur für Unternehmen, die gewerblich handeln und zusätzlich einen Jahresumsatz von mindestens 2 Millionen Euro erzielen. Auch Behörden können „Käufer“ sein, Verbraucher hingegen nicht. Es werden auch nicht alle Lieferanten geschützt, sondern grundsätzlich nur solche, die einen Jahresumsatz von maximal 350 Millionen Euro erzielen. Der jeweilige Käufer muss außerdem einen höheren Jahresumsatz als der Lieferant haben, wobei hier bestimmte im Gesetz genannte Umsatzstufen maßgeblich sind. Bestimmte erzeugergetragene Lieferanten im Bereich Milch, Fleisch, Obst und Gemüse mit deutlich höheren Jahresumsätzen sind unter bestimmten Voraussetzungen auch geschützt.

Weshalb wurde eine EU-weite Regelung überhaupt erforderlich?

Man muss sich vor Augen führen, dass Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnisse über EU-mitgliedsstaatliche Grenzen hinweg verkauft werden. Gäbe es keinen EU-weiten Mindeststandard, könnten Käufer leicht auf Lieferanten in Mitgliedsstaaten mit geringerem Schutzstandard ausweichen. Die UTP-Richtlinie führt diese Logik sogar noch weiter: Damit ein Käufer das Verbot nicht durch den Bezug aus dem EU-Ausland umgeht, gilt das Gesetz auch dann, wenn nur der Käufer seinen Sitz in der EU hat.

Und was genau ist die UTP-Richtlinie?

Die UTP-Richtlinie ist ein Rechtsakt des Europäischen Parlaments und des Rats von 2019. Wie bei allen EU-Richtlinien gilt auch die UTP-Richtlinie nicht unmittelbar, sondern muss in mitgliedsstaatliches Recht umgesetzt werden. Dazu hatten die Mitgliedsstaaten bis Anfang Mai 2021 Zeit – Deutschland ist mit seinem „Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich“ also spät dran!

Setzt der Gesetzentwurf die UTP-Richtlinie genau um?

Das Gesetz geht tatsächlich über die UTP-Richtlinie hinaus. Hier sind vor allem folgende Handelspraktiken zu nennen: ■ das Zurückschicken nicht verkaufter Agrar-, Fischerei- oder Lebensmittelerzeugnisse ohne Zahlung des geschuldeten Kaufpreises oder wenn die Erzeugnisse nicht mehr verwendbar sind, ohne Zahlung der Beseitigungskosten, und ■ die Beteiligung des Lieferanten an den Kosten für die Lagerung der gelieferten Agrar-, Fischerei- oder Lebensmittelerzeugnisse beim Käufer durch Zahlung oder Preisnachlässe. Wenn diese beiden Handelspraktiken zuvor klar und eindeutig vereinbart wurden, sind sie nach der UTP-Richtlinie gestattet. Im deutschen Gesetz zur Umsetzung der UTP-Richtlinie stehen diese Handelspraktiken aber auf der „schwarzen Liste“. Sie sind also in jedem Fall verboten.

Was regelt das deutsche Umsetzungsgesetz weiter?

Das deutsche Umsetzungsgesetz erweitert außerdem den Kreis der geschützten Lieferanten. Geschützt sind nicht nur Lieferanten von landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit einem Jahresumsatz von bis zu 350 Millionen Euro, sondern auch umsatzmäßig größere Lieferanten von Milch- und Fleischprodukten sowie von Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukten. Voraussetzung für den Schutz ist, dass diese Lieferanten einen Jahresumsatz im jeweiligen Verkaufssegment von nicht mehr als vier Milliarden Euro erzielen und dass dieser Jahresumsatz nicht mehr als 20 Prozent des Jahresumsatzes des jeweiligen Käufers beträgt.

Wer überwacht und setzt diese Verbote durch?

Das Gesetz wird von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) überwacht. Bei Verstößen gegen das Verbot unlauterer Handelspraktiken kann die BLE unter anderem Bußgelder in Höhe von bis zu 750.000 Euro gegen den Käufer verhängen.

Wie funktioniert letztlich die Zusammenarbeit zwischen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und dem Bundeskartellamt (BKartA)?

Entscheidungen über Verstöße gegen das Verbot unlauterer Handelspraktiken dürfen nur im Einvernehmen mit dem BKartA getroffen werden. Frei ist die BLE hingegen bei der Frage der angemessenen Bußgeldhöhe, wenngleich hier dem BKartA die Gelegenheit einer Stellungnahme gegeben wird. Der Grund für diese Abstimmung dürfte zum einen in der großen Erfahrung des BKartA im Hinblick auf die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegen. Zum anderen besteht eine gewisse Nähe mancher Handelspraktiken zum Kartellrecht, da bestimmte Praktiken auch unter dem Blickwinkel des Missbrauchs von Marktmacht verboten sein können. Die Unternehmen sollten daher auch vor diesem Hintergrund die Neuregelungen ausgesprochen ernst nehmen.

Die Ansage an die vier großen LEH-Ketten müsste dann ab sofort sein: Nicht über Fairness reden, sondern fair handeln. Ist das richtig?

Ja, die Lebensmittelhändler werden sich an der neuen Rechtslage messen lassen müssen. Was man aber nicht übersehen darf: Das Gesetz gilt auch für Käufer, die dem Handel vorgelagert sind, also insbesondere für lebensmittelverarbeitende Betriebe.

Was sollten die Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette jetzt beachten?

Es gilt sich zu informieren: ■ Ist man Käufer und/oder Lieferant von Erzeugnissen im Sinne des Gesetzes und erfüllt man die entsprechenden Umsatzkriterien? ■ Hat man Geschäftspartner, die Käufer beziehungsweise Lieferanten von Erzeugnissen im Sinne des Gesetzes sind und entsprechende Umsatzkriterien erfüllen? ■ Je nachdem, ob man Käufer und/ oder Lieferant ist: Begeht man aktuell unlautere Handelspraktiken oder ist man ein Opfer solcher Praktiken? ■ Was muss unternommen werden, um sich rechtskonform aufzustellen beziehungsweise sich effektiv gegen unlautere Handelspraktiken zu wehren? ■ Man kann wohl jetzt schon sagen: Das Gesetz wird Folgen für Geschäftsbeziehungen in weiten Teilen der Lebensmittelversorgungskette haben.