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Unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette

Folgenreiche Handelsregulierung nimmt Form an: Bundesregierung beschließt Umsetzung der sog. Unfair Trade Practices (UTP)-Richtlinie.

Das Bundeskabinett hat mit seinem Reg-E vom 18. November 2020 die Umsetzung der UTP-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019) beschlossen. Dafür soll das Agrarmarktstrukturgesetz angepasst und in Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (AgrarOLkG) umbenannt werden.

Das Wichtigste zusammengefasst

  • Vorgaben der UTP-Richtlinie folgend, enthält der Reg-E einen Katalog bestimmter Verhaltensweisen (sog. Handelspraktiken), die für große gewerbliche und behördliche Nachfrager (Käufer) von Landwirtschafts- und Lebensmittelerzeugnissen in deren Geschäftsbeziehungen mit umsatzmäßig kleineren Lieferanten verboten sind.
  • Die verbotenen Handelspraktiken betreffen z.B. kurzfristige Stornierungen, verspätete Zahlungen, einseitige Vertragsänderungen, Kostenverlagerungen und die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen.
  • Bestimmte weitere Handelspraktiken (z.B. Forderungen nach Preisnachlässen für Vermarktungsleistungen) werden nur dann gestattet, wenn sie zuvor “klar und eindeutig” zwischen den Parteien vereinbart wurden.
  • Der Reg-E schützt nicht nur Landwirte, sondern alle Lieferanten von Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnissen, also insbesondere auch Lieferanten der lebensmittelverarbeitenden Industrie. Lieferanten dürfen allerdings einen Jahresumsatz von höchstens 350 Mio. € haben.
  • Verpflichtete Käufer sind neben Lebensmittelhändlern grds. alle Käufer von Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnissen, soweit sie nicht Verbraucher sind, also auch die nachfragende lebensmittelverarbeitende Industrie. Käufer müssen allerdings einen Jahresumsatz von mehr als 2 Mio. € haben.
  • Damit die Verbote bestimmter Handelspraktiken zur Anwendung kommen, muss der Jahresumsatz des Käufers höher sein als der Jahresumsatz des jeweiligen Lieferanten, wobei gewisse Pauschalierungen gelten (siehe die Tabelle weiter unten).
  • Zur Ermittlung der Umsatzstufe des jeweiligen Geschäftspartners sind sich Lieferanten und Käufer gegenseitig zur Auskunft verpflichtet. Auch einkaufende Behörden sind verpflichtete Käufer.
  • Das Verbot unlauterer Handelspraktiken ist schon dann anwendbar, wenn entweder der Lieferant oder der Käufer seinen Sitz in der Europäischen Union hat (die UTP-Richtlinie spricht von „Niederlassung“).
  • Durchsetzungsbehörde ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Die gesetzlich vorgesehene enge Zusammenarbeit mit dem Bundeskartellamt (BKartA) lässt eine kohärente und durchsetzungsstarke Regulierungspraxis erwarten.
  • Die BLE kann auf Antrag oder von Amts wegen ermitteln. Verstöße gegen das Verbot unlauterer Handelspraktiken können behördlich festgestellt und Bußgelder von bis zu 500.000 € verhängt werden. Die BLE kann ihre Entscheidungen und die Namen des jeweils betroffenen Käufers auf ihrer Internetseite veröffentlichen.
  • Das kartellrechtliche Marktmissbrauchsverbot in §§ 19, 20 GWB und insbesondere das Anzapfverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB bleiben unberührt. In der Praxis könnten sich daher parallel laufende Verfahren entwickeln.
  • Die UTP-Richtlinie muss spätestens bis 1. Mai 2021 ins deutsche Recht umgesetzt werden.

Für wen gilt das Gesetz?

Das Reg-E bezweckt zwar primär den Schutz von Landwirten vor der Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels. Letztlich bezieht der Reg-E aber alle Lieferanten von Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnissen in den Schutzbereich des Gesetzes ein – soweit sie einen Jahresumsatz von bis zu 350 Mio. € haben. Grund hierfür ist der sog. „Kaskadeneffekt“, wonach übermäßige Nachfragemacht nachteilige Folgen für die Primärerzeuger auch indirekt, über mehrere Wirtschaftsstufen hinweg, haben kann. Bei der Umsatzberechnung zählt der Jahresumsatz der gesamten Unternehmensgruppe des Lieferanten und insbesondere nicht nur der Umsatz mit Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnissen.

Zu den verpflichteten Käufern zählt grds. jedes Unternehmen und jede Behörde. Verpflichtet sind neben Handelsunternehmen, die Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnisse kaufen, insbesondere auch entsprechende Nachfrager der lebensmittelverarbeitenden Industrie. Voraussetzung neben einer gewerblichen oder behördlichen Nachfragetätigkeit ist, dass (i) der Jahresumsatz des Käufers insgesamt 2 Mio. € übersteigt und (ii) dieser Jahresumsatz höher als der Jahresumsatz des jeweils betrachteten Lieferanten ist, wobei folgende Pauschalierungen gelten:

  • Lieferant: bis 2 Mio. € // Käufer: über 2 Mio. €
  • Lieferant: über 2 Mio. bis 10 Mio. € // Käufer: über 10 Mio. €
  • Lieferant: über 10 Mio. bis 50 Mio. € // Käufer: über 50 Mio. €
  • Lieferant: über 50 Mio. bis 150 Mio. € // Käufer: über 150 Mio. €
  • Lieferant: über 150 Mio. bis 350 Mio. € // Käufer: über 350 Mio. €

Welche verbotene Handelspraktiken gibt es?

Der UTP-Richtlinie folgend unterscheidet der Reg-E zwischen

  • Handelspraktiken, die immer verboten sind;
  • Handelspraktiken, die nur dann nicht verboten sind, wenn zwischen Lieferant und Käufer zuvor „klar und eindeutig“ vereinbart wurde, dass die Praktiken gestattet sein sollen.

Die folgenden Handelspraktiken sind immer verboten:

  • Kurzfristige Stornierungen bei verderblichen Lebensmitteln
  • Einseitige Änderungen von Liefer- und Zahlungsbedingungen, Preisen etc.
  • Zahlungsziele für verderbliche Lebensmittel später als 30 Tage
  • Verweigerung schriftlicher Bestätigungen abgeschlossener Liefervereinbarungen
  • Nutzung von Geschäftsgeheimnissen ohne Einverständnis des Lieferanten
  • Vergeltungsandrohung bei Gebrauchmachung vertraglicher / gesetzlicher Rechte
  • Entschädigungsforderungen ohne Verschulden des Lieferanten
  • Zahlungsforderungen ohne Zusammenhang zu den verkauften Erzeugnissen
  • Rückgabe nicht verkaufter Erzeugnisse ohne Zahlung
  • Zahlungsforderung für die Lagerung der Erzeugnisse
  • Zahlungsforderungen für Kosten, die Lieferanten nicht verschuldet haben

Handelspraktiken, die nur dann nicht verboten sind, soweit zwischen Lieferant und Käufer zuvor klar und eindeutig vereinbart wurde, dass sie gestattet sein sollen, sind vor allem das Verlangen nach Zahlungen oder Preisnachlässen für (i) Listungen der gelieferten Erzeugnisse, (ii) deren Vermarktung (z.B. Werbung, Preisnachlässe im Rahmen von Verkaufsaktionen) und (iii) das Einrichten von Verkaufsräumlichkeiten.

Gute Vorbereitung ist entscheidend

Die UTP-Richtlinie muss spätestens bis zum 1. Mai 2021 ins deutsche Recht umgesetzt werden. Das ist nicht viel Zeit, um sich auf die neue Gesetzeslage vorzubereiten. Allerdings ist die Vorbereitung ohne Weiteres jetzt schon möglich: Wesentliche Änderungen am Gesetzeswortlaut sind nicht zu erwarten und im Minimum muss das Schutzniveau der UTP-Richtlinie umgesetzt werden.

Lieferanten und Käufer sollten zeitnah folgende Fragen klären:

  • Ist das eigene Unternehmen ein Käufer und / oder ein Lieferant von Erzeugnissen im Sinne des Reg-E und erfüllt es die entsprechenden Umsatzkriterien?
  • Hat das eigene Unternehmen Geschäftspartner, die Käufer oder Lieferanten von Erzeugnissen im Sinne des Reg-E sind, die die entsprechenden Umsatzkriterien erfüllen?
  • Soweit das eigene Unternehmen ein Käufer ist: Gehen unlautere Handelspraktiken von ihm aus? Soweit es Lieferant ist: Wird es Opfer solcher Praktiken?
  • Liegt bereits Dokumentation vor, die belegt, dass bestimmte Handelspraktiken als zulässig zwischen den Geschäftspartnern vereinbart wurden?
  • Wie plane ich die erste Runde der Jahresgespräche nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes und wie bereite ich mich strategisch richtig auf diese Gespräche vor?

Außerdem müssen relevante Mitarbeiter rechtzeitig geschult werden, damit verbotene Handelspraktiken erkannt werden und dann vermieden (Käufer) bzw. abgewehrt (Lieferant) und ggfs. der Rechtsabteilung gemeldet werden.

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Hier ein Link zu dieser Übersicht zur Umsetzung der UTP-Richtlinie als PDF.