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Artikel in der Fachzeitschrift "M&A-Review": Das neue Kartellrecht - Folgen für die M&A-Praxis

1. Einleitung

Die 10. GWB-Novelle, mit der das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umfassend überarbeitet wurde, ist am 19. Januar 2021 in Kraft getreten. Die Anpassungen verschärfen vor allem die Regulierung großer Digitalkonzerne, ändern aber auch das Regime der Fusionskontrolle an verschiedenen Stellen. Die wichtigsten Änderungen und ihre Folgen für die M&A-Praxis werden in diesem Beitrag skizziert.

2. Insgesamt weniger BKartA-Anmeldungen

Damit eine Transaktion beim Bundeskartellamt (BKartA) anmeldepflichtig ist, müssen die Umsätze der transaktionsbeteiligten Unternehmen aus dem letzten Geschäftsjahr bestimmte Umsatzschwellen erreichen. Die Novellierung hat die beiden sogenannten Inlandsumsatzschwellen von 25 Mio. auf 50 Mio. EUR und von 5 Mio. auf 17,5 Mio. EUR sehr deutlich erhöht, was die Zahl der jährlich anmeldepflichtigen Transaktionen von derzeit 1.300-1.400 um mehr als 20% senken dürfte.

Voraussetzung der Anmeldung einer Transaktion nach § 35 Abs. 1. GWB:

Eine Transaktion ist anmeldepflichtig, wenn im letzten Geschäftsjahr vor der Transaktion

i. die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. EUR erzielt haben; und ii. im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 50 Mio. EUR erzielt hat (1. Inlandsumsatzschwelle); und iii. ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mindestens 17,5 Mio. EUR erzielt hat (2. Inlandsumsatzschwelle).

Die höheren Schwellen bieten nunmehr die Chance, dass deutlich mehr Transaktionen nicht der Fusionskontrolle unterfallen und diese regulatorische Hürde im Transaktionsgeschäft teilweise entfällt. Dennoch: Die Frage, ob eine Anmeldepflicht besteht, ist nicht immer trivial und sollte – insbesondere bei mehreren beteiligten Unternehmen – in jedem Fall vorab geprüft werden. Mitunter kann schon im Rahmen der Transaktionsstrukturierung vorgearbeitet und eine Anmeldepflicht vermieden werden.

3. Längere Verfahrensdauer möglich

Das BKartA hat ab vollständiger Anmeldung einer Transaktion im sogenannten Vorprüfverfahren (Phase I) einen Monat Zeit, die Transaktion freizugeben oder stattdessen das sogenannte Hauptprüfverfahren (Phase II) einzuleiten. Im Hauptprüfverfahren hatte das BKartA bislang maximal vier Monate ab Eingang der Anmeldung Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Die Novellierung verlängert diesen Zeitraum von vier auf fünf Monate (§ 40 Abs. 2 GWB), da die Praxis zeigt, dass vier Monate bei komplexen Transaktionen für die zu treffende Prognoseentscheidung oft nicht ausreichen. Eine Untersagung bei drohendem Ablauf des Hauptprüfverfahrens kann man vermeiden, wenn alle Parteien einer Verfahrensverlängerung zustimmen oder wenn die anmeldende Partei die Anmeldung zurücknimmt und gegebenenfalls erneut anmeldet. Diese beiden Möglichkeiten bleiben auch nach der GWB-Novelle bestehen.

4. Neu: Verpflichtung zur Anmeldung zukünftiger Transaktionen

Trotz der Absicht, die Zahl anmeldepflichtiger Transaktionen zu reduzieren, sieht eine Neuregelung in § 39a GWB eine punktuelle Ausweitung der Anmeldepflicht vor. Denn derzeit können große Unternehmen fusionskontrollfrei kleine Wettbewerber mit Umsätzen unter- halb der zweiten Inlandsumsatzschwelle (nunmehr 17,5 Mio. EUR) aufkaufen und so die eigene Marktposition ausbauen. Vor allem in regionalen, mittelständisch geprägten Märkten wie der Entsorgungs- und Bauwirtschaft kann das nach und nach zu kritischer Marktmacht führen.

Die Neuregelung erlaubt dem BKartA, bestimmte Unternehmen – unabhängig von der Erfüllung der regulären Voraussetzungen – zur Anmeldung zukünftiger Transaktionen zu verpflichten und somit fusionskontrollrechtlich prüfen zu lassen. Diese individuelle Anmeldepflicht ist in der deutschen Fusionskontrolle neu. Aufgrund ihrer engen Voraussetzung dürfte ihr Anwendungsbereich begrenzt bleiben. Auf entsprechend verpflichtete Unternehmen kommen aber deutlich höhere regulatorische Anforderungen zu.

Voraussetzungen der Anwendung des § 39a GWB:

(1) Das Unternehmen hat im letzten Geschäftsjahr mehr als 500 Mio. EUR erwirtschaftet. (2) Es gibt Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wettbewerbs durch zukünftige Zusammenschlüsse in einem Wirtschaftszweig. (3) Das Unternehmen hat in dem Wirtschaftszweig einen Anteil von mindestens 15% am Angebot oder an der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland. (4) Das BKartA hat in dem Wirtschaftszweig bereits eine Sektoruntersuchung durchgeführt. (5) Das zu erwerbende Unternehmen hat im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von mehr als 2 Mio. EUR erzielt, davon mehr als zwei Drittel in Deutschland.

5. Ausweitung sogenannter „Bagatellmarkt“-Fälle

„Bagatellmärkte“ entstehen insbesondere dann, wenn in traditionellen Branchen der Umsatz durch Globalisierung und Digitalisierung deutlich zurückgeht, wodurch ein erheblicher Konsolidierungsdruck entstehen kann. Die Fusionskontrolle soll einer solchen Konsolidierung nicht im Wege stehen und angemeldete Transaktionen sollen daher nicht untersagt werden.

Nach der Neuregelung können Transaktionen dann nicht untersagt werden, wenn die Untersagungsvoraussetzungen auf Märkten vorliegen, auf denen im letzten Geschäftsjahr weniger als 20 Mio. EUR umgesetzt wurden (§ 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB). Bislang lag die Umsatzschwelle bei 15 Mio. EUR. Die Umsätze mehrerer gleichzeitig betroffener Bagatellmärkte werden im Hinblick auf das Erreichen der Schwelle jedoch zusammengerechnet. Das stellt das Gesetz jetzt ausdrücklich klar.

6. Prozessuale Vereinfachungen

Die GWB-Novelle vereinfacht und erleichtert einige prozessuale Pflichten. Zum einen werden die Möglichkeiten für elektronische Anmeldungen erweitert (§ 39 Abs. 1 S. 2 GWB). Zur Klärung einer etwaigen Anmeldepflicht kann ein Unternehmen bei der Ermittlung der relevanten Umsätze außerdem demnächst andere Rechnungslegungsstandards verwenden als den bislang obligatorischen HGB-Standard. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Unternehmen ausschließlich den anderen Standard verwendet (zum Beispiel IFRS) und nicht zusätzlich den HGB-Standard (§ 38 Abs. 1 GWB). Zuletzt wird die Pflicht der Vollzugsanzeige abgeschafft, wonach stets nach Vollzug der Transaktion eine weitere Anzeige beim BKartA erforderlich war (vgl. § 39 Abs. 6 GWB).

7. Geringere Kontrolltiefe bei Pressefusionen

Der Wettbewerb in der Pressewirtschaft ist aus gesellschaftspolitischen Gründen besonders schützenswert. Damit auch vergleichsweise kleine Transaktionen im Pressebereich die relevanten Umsatzschwellen erreichen und eine fusionskontrollrechtliche Prüfung stattfindet, sieht das Gesetz eine Multiplikation der Umsatzerlöse für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und deren Bestandteile vor. Auf diesem Weg werden die relevanten Umsatzschwellen als Aufgreifkriterien auch mit geringeren Umsätzen erreicht.

Die Behördenpraxis hat aber gezeigt, dass der bisherige Multiplikationsfaktor von acht für einen effektiven Wettbewerbsschutz im Pressebereich unnötig hoch war. Die Novellierung sieht daher eine Absenkung des Faktors auf vier vor (§ 38 Abs. 3 S. 1 GWB). Die Bundesregierung schätzt, dass damit im Bereich Presse jährlich 20 Transaktionen weniger als aktuell beim BKartA angemeldet werden. Größere Transaktionen werden weiterhin erfasst.

8. Sonderausnahme im Krankenhausbereich

Die GWB-Novelle hat eine Sonderausnahme von der Fusionskontrolle für bestimmte Transaktionen im Krankenhausbereich eingeführt (§ 186 Abs. 9 GWB). Die Sonderausnahme ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft und soll sicherstellen, dass gesundheitspolitisch im besonderen Maße förderungswürdige Krankenhauszusammenschlüsse nicht durch eine Fusionskontrolle verhindert werden. Die Regelung ist bis zum 31.12.2027 zeitlich begrenzt.

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